Seit 300 Jahren misstrauen wir Spanier den Katalanen, weil wir befürchten, dass sie so stark werden, dass sie uns verlassen könnten. Daher pflegen wir sie wie einen Bonsai: wir drangsalieren sie (ohne, dass es weiter auffällt) mit Drähten, damit sie möglichst wenig und maximal kontrolliert wachsen. Wir halten sie in einem kleinen Topf und bewässern sie tropfenweise. Wir geben ihnen Verantwortung, aber nur, wo unbedingt nötig und natürlich behalten wir die Entscheidungsgewalt. Wir überlassen ihnen Geld, wenn es sich denn nicht vermeiden lässt, und sorgen dafür, dass sie immer bei uns verschuldet und von uns abhängig bleiben. Wir geben ihnen Infrastruktur, aber immer etwas weniger als vereinbart. Wir geben, richtig! Aber nur wenig, nur das nötigste, weil wir Angst haben, dass uns der Bonsai sonst entwischen könnte. Tatsächlich können wir nicht verstehen, warum dieses undankbare Gewächs kein Bonsai sein will, wo dieser doch so schön in unsere Schrankwand passt. Aber dickköpfig wie er ist, träumt er davon, eine ausgewachsene Eiche zu sein. Und da wir feststellen müssen, dass die Drähte nicht mehr ausreichen, um ihn im Zaum zu halten, zeigen wir ihm jetzt unsere Axt aus unseren scharf gewetzten Gesetzen.
Nach der Abstimmung am 9. November in Katalonien steht die katalanische Staatsanwaltschaft unter massivem Druck seitens der spanischen Regierung und der spanischen Staatsanwaltschaft, die eine gerichtliche Verfolgung des Präsidenten der katalanischen Regierung, Artur Mas, ihrer Vizepräsidentin, Joana Ortega, und der Bildungsministerin, Irene Rigau, wegen angeblichem Ungehorsam, Rechtsbeugung, widerrechtlicher Amtsanmaßung und Amtsunterschlagung und Missachtung des Gerichts durchsetzen wollen. Ihre Verbrechen bestehen darin, einen unverbindlichen „Beteiligungsprozess” in Katalonien ermöglicht zu haben, in dem mehr als zwei Millionen europäische Bürger ihre Meinung über ihre politische Zukunft als Volk ausdrückten – in Ausübung unveräußerlicher Menschenrechte und der Rechte der Völker, festgehalten in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte.
Krystyna Schreiber
Barcelona, 20. November, 2014